Wegweiser Tierversuchsfreie WissenschaftInterview - Stefan Dübel
Für unsere Publikation Wegweiser Tierversuchsfreie Wissenschaft haben wir mit Prof. Dr. Stefan Dübel über tierversuchsfreie Methoden zur Herstellung von Antikörpern gesprochen.
Herr Professor Dübel, können Sie unseren Leser*innen einen kurzen Überblick über Ihre Forschung geben?
Prof. Stefan Dübel: Antikörper sind Eiweiße aus unserem Blut, welche in Gemischen tausender anderer Stoffe einen einzigen Stoff gezielt erkennen und fest an sich binden können. Damit sind sie sehr wertvoll für die Forschung - mithilfe von Antikörpern konnte man zum Beispiel erstmals einzelne Inhaltsstoffe innerhalb einer Körperzelle buchstäblich aufleuchten lassen und so sichtbar machen. Viele diagnostische Tests beim Arzt nutzen ebenfalls diese Eigenschaft, um Krankheitserreger aufzuspüren. Auch für die medikamentöse Behandlung von Krankheiten sind Antikörper unverzichtbar - mehr als 160 verschiedene Medikamente aus Antikörpern werden heute zur Behandlung von Krebs, Rheuma, Infektionen, Nerven- und Kreislauferkrankungen und vieler weiterer Krankheiten klinisch eingesetzt.
Wir haben tierversuchsfreie Methoden zur Gewinnung von Antikörpern für Forschung, Diagnostik und Therapie entwickelt, insbesondere das Phagendisplay. Mit dessen Hilfe haben wir mittlerweile auch bereits Tausende von neuen Antikörpern entdeckt. Zahlreiche davon werden mittlerweile auch praktisch eingesetzt. So wurden zwei solcher Antikörper bereits bis zum klinischen Einsatz entwickelt (gegen Krebs und eine Infektionserkrankung), und viele unserer Antikörper werden mittlerweile auch als Forschungsreagenzien weltweit genutzt.
Können Sie unseren Leser*innen die Funktionsweise des Phagen-Displays anhand eines Beispiels erklären?
Prof. Stefan Dübel: Anstatt Antikörper im Blut von Versuchstieren herzustellen, brauchen wir nur ein paar Reagenzgläser dazu. Wir haben dazu eine Gensammlung angelegt, welche die exakten molekularen Baupläne sämtlicher Antikörper von über 100 Menschen aus der ganzen Welt abdeckt - diese enthält Milliarden unterschiedlicher Moleküle. Durch diese riesige Auswahl an Antikörpern mit unterschiedlichen Bindungsstrukturen können wir aus dieser Gensammlung den Bauplan eines einzelnen Antikörpers herausfischen, welcher einen ganz bestimmten Stoff erkennt. Dieses "Herausfischen" geschieht mithilfe des Phagen-Displays. In einem Reagenzglas können wir damit aus dieser riesigen Vielfalt unterschiedlicher Antikörper denjenigen finden, der die von uns gewünschte Funktion besitzt. Dazu brauchen wir lediglich noch Laborbakterien und etwas Nährmedium, aber eben kein einziges Tier, welches neue Antikörper produziert, denn alle notwendigen Antikörperbaupläne haben wir ja bereits in unserer Gensammlung vorliegen.
Dies so gefundenen Antikörper können dann, da wir ihre Baupläne (die Erbsubstanz DNA) aus der Gensammlung eindeutig identifizieren können, in beliebiger Menge und zeitlich unbegrenzt immer wieder in der gleichen Form hergestellt werden. Auch dafür brauchen wir keine Tiere mehr, da dies in Bioreaktoren oder sogar ganz einfach in gleichmäßig geschüttelten Glaskolben mit Nährmedium möglich ist.
Welche Vorteile hat es, tierfreie Antikörper einzusetzen?
Prof. Stefan Dübel: Neben dem kompletten Verzicht auf Versuchstiere zu ihrer Entwicklung haben tierversuchsfrei hergestellte Antikörper oft zusätzliche Vorteile. Da bei unserer Methode stets der komplette Bauplan (DNA) gewonnen wird, ist es zum Beispiel einfach, Antikörpern verschiedene neue nützliche Eigenschaften zu verleihen - bei tierbasierten Antikörpern ist das oft gar nicht möglich oder zumindest sehr viel aufwändiger.
Im Gegensatz zu den in der Forschung noch vorherrschenden tierbasierten Antikörpern haben mithilfe Phagendisplay hergestellte Antikörper zudem den Vorteil, dass sie stets chemisch in ihrer Zusammensetzung vollständig bekannt sind. Dagegen bestehen die Mehrzahl der in der Forschung und Diagnostik verwendeten tierbasierten Antikörper immer noch aus Blutextrakten eines einzelnen Tieres. Dadurch sind diese Antikörperpräparationen in ihrer Zusammensetzung nie eindeutig definiert, können dadurch unerwünschte Nebenreaktionen haben und können auch nicht unbegrenzt in gleicher Qualität hergestellt werden. Wir haben dagegen mittlerweile die Produktion unserer tierversuchsfrei hergestellten Antikörper so weit entwickelt, dass der komplette Herstellungsprozess bis zum Endprodukt vegan ist, und unbegrenzte Mengen hergestellt werden können.
In welchen Bereichen der medizinischen Praxis kann diese Methode konkret eingesetzt werden?
Es gibt mittlerweile zahlreiche zugelassene Medikamente, welche Antikörper enthalten, die mithilfe des Phagen-Displays gewonnen wurden. Dazu zählen zahlreiche Krebsmedikamente, Rheumamittel, Medikamente gegen Autoimmunerkrankungen Asthma, Dermatitis, Alzheimer, Herzinfarkt, Allergien, Diabetes, Infektionen, Augenkrankheiten und sogar zur Behandlung der Bluterkrankheit. Auch in diagnostischen Tests werden tierversuchsfrei hergestellte Antikörper bereits verwendet, meist ist dies aber für die Nutzer des Tests gar nicht erkennbar.
Bei der Entwicklung neuer Medikamente ist die Verwendung von Versuchstieren derzeit noch immer notwendig, wir haben aber zumindest bei der Antikörperherstellung jetzt die Möglichkeit, auch den "veganen" Weg auszuprobieren. Tierversuchsfreie Methoden sollten eingesetzt und viel mehr gefördert werden, aber das Wohl kranker Menschen muss im Einzelfall Vorrang vor dem Tierschutz haben.
Vor welchen großen Herausforderungen steht die Forschung im Bereich der tierfreien Antikörper und wie gehen Wissenschaftler*innen diese an?
Prof. Stefan Dübel: Bei der Entwicklung neuer Medikamente werden tierversuchsfreie Methoden zur Herstellung von Antikörpern mittlerweile bereits häufig eingesetzt. Wissenschaftlich sind die Fragen zu ihrer Gewinnung bereits weitgehend gelöst. Neuere Forschungen beschäftigen sich deshalb mittlerweile mit neuen, sozusagen am Reißbrett entwickelten Verbesserungen der Antikörper. Dabei konnten Eiweiße entwickelt werden, welche völlig neue, in der Natur bei Antikörpern nicht vorgefundene Eigenschaften aufweisen. Beispiele dafür sind die "bispezifischen" Antikörper, welche zwei verschiedene Ziel-Eiweiße erkennen, oder auch die CAR-T-Zellen - hier "lernt" eine körpereigene Abwehrzelle mithilfe eines neuen, im Reagenzglas entwickelten Antikörpers Krebszellen zu erkennen, die vorher für unser Immunsystem unsichtbar waren. Solche in der Natur nicht vorkommenden Antikörperkonstruktionen haben bereits zahlreiche neue Krebstherapien ermöglicht.
Eine Herausforderung ganz anderer Art ist es momentan, den Nutzen tierversuchsfreier Antikörper auch in der Grundlagenforschung und Diagnostik breiter bekannt zu machen. Die tierversuchsfreien Methoden zur Antikörperherstellung sind auf diesen Gebieten noch bei weitem nicht allen Nutzern bekannt. Dadurch werden sie weniger nachgefragt, was dazu führt, dass sie momentan noch teurer sind als Antikörper aus Versuchstieren.
Was hat Sie dazu motiviert, im Forschungsbereich der tierversuchsfreien Methoden tätig zu sein?
Prof. Stefan Dübel: Ein Erlebnis während eines Praktikums beim Studium in Heidelberg, in dem monoklonale Antikörper mithilfe der Ascites-Methode in den von Krebszellen aufgeschwollenen Bäuchen von Mäusen produziert wurden. Wir haben damals schon als Studierende darüber nachgedacht, wie man das vermeiden könnte, und schließlich dafür die Phagendisplay-Methode erfunden, die es uns heute ermöglicht, Antikörper komplett vegan herzustellen.
Auf welches Projekt blicken Sie mit besonders viel Begeisterung und Stolz?
Prof. Stefan Dübel: Natürlich ist die Entwicklung eines neuen Krebsmedikamentes ein Highlight jeder Forscherkarriere. Auch die Herstellung unseres Anti-Corona-Antikörpers aus dem Nichts bis zum Medikamentenkandidaten innerhalb von nur vier Monaten ist wahrscheinlich rekordverdächtig - normalerweise dauern solche Medikamentenentwicklungen Jahre. Ich freue mich aber auch darüber, dass es uns gelungen ist, vieler unserer Forschungsergebnisse durch Lizenzen und Firmenausgründungen von Mitarbeitern in die tatsächliche praktische Anwendung zu bringen. So stellt die Firma Yumab mittlerweile seit 12 Jahren mithilfe des Phagen-Displays tierversuchsfrei erzeugte Antikörper für die Medikamentenentwicklung her. Jüngstes Beispiel ist die Abcalis, welche vegane Antikörper für die Forschung entwickelt und weltweit vertreibt, und dafür von der ECEAE, der Dachorganisation von 17 europäischen Tierschutzorganisationen, den ersten für die Entwicklung tierversuchsfreier Antikörper ausgeschriebenen Preis gewonnen hat.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, um generell tierversuchsfreie Methoden in Deutschland verstärkt zu etablieren?
Prof. Stefan Dübel: Die EU-Kommission hat bereits vor einigen Jahren in einer sehr ausführlichen Analyse zahlreiche Vorschläge dazu gemacht. Die wichtigsten Erkenntnisse waren, dass das Wissen um die tierversuchsfreien Möglichkeiten zur Antikörperherstellung und seine Vorteile noch viel zu wenig verbreitet ist, und dass die Kosten wegen des dadurch zu kleinen Marktes noch zu hoch sind. Zur Lösung beider Probleme könnten zum Beispiel finanzielle Anreize zur Nutzung von tierversuchsfreien Antikörpern in öffentlich geförderten Forschungsprojekten beitragen.
Wie sehen Sie die derzeitige finanzielle Förderung der Forschung zu tierversuchsfreien Methoden? Gibt es Ihrer Meinung nach bestimmte Gründe, weshalb diese im Vergleich zu Tierversuchen nur unzureichend gefördert werden?
Prof. Stefan Dübel: Das Problem liegt nicht mehr in mangelnder Förderung der der Forschung zu tierversuchsfreien Methoden für die Antikörperherstellung - denn diese existieren seit langem und sind längst praktisch breit validiert. Vielmehr könnte die Verwendung von tierversuchsfrei hergestellten Antikörpern in viel größerer Breite in Forschung und Diagnostik gefördert werden - mit dem zusätzlichen Nutzen für uns Alle, dass damit auch die Qualität der Forschungsergebnisse aufgrund der oben dargestellten Vorteile verbessert werden kann.
Was ist Ihr nächstes Ziel? Welche Projekte planen Sie als nächstes?
Prof. Stefan Dübel: Wir haben zahlreiche laufende Forschungsvorhaben, die zum Ziel haben, Antikörper für neue Medikamente, Diagnoseverfahren und Forschungsansätze zu identifizieren. Wir arbeiten auch an einer Methode, Antikörper an- und abschaltbar zu machen - ebenfalls eine Eigenschaft, die aus Versuchstieren gewonnene Antikörper nicht haben. Damit möchten wir mögliche Nebenwirkungen bei der Behandlung von Krebs verringern. Antikörper sind wunderbare Moleküle aus dem Schatzkasten der Natur, deren Möglichkeiten die bisherige Forschung noch bei Weitem nicht vollständig ergründet hat. Es gibt also noch viel zu tun!