Wegweiser Tierversuchsfreie WissenschaftInterview - Shokoofeh Abbaszadeh
Für unsere Publikation Wegweiser Tierversuchsfreie Wissenschaft haben wir mit Shokoofeh Abbaszadeh, MSc. über Alternativen zur Verträglichkeitsprüfung von Wasserkraftwerken für freilebende Fische gesprochen.
Frau Abbaszadeh, können Sie uns einen Einblick in Ihre aktuelle Forschung geben?
Shokoofeh Abbaszadeh: Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Institut für Elektrische Energiesysteme und Spezialistin für Wasserkraft und damit verbundene ökologische Fragestellungen. Vor kurzem konnte ich mein interdisziplinäres Promotionsvorhaben abschließen, in dem ich mich mit der experimentellen Optimierung komplizierter Systeme gewidmet habe. Die Anwendungsbereiche in meiner Forschung sind neben nachhaltiger Antriebs- und Turbinentechnik, auch die Fischersatzsysteme.
Wie trägt Ihre Forschung dazu bei, Tierversuche zu reduzieren oder zu ersetzen?
Shokoofeh Abbaszadeh: Ich forsche an der nachhaltigen Nutzung der Wasserkraft. Hier werden leider nach wie vor große Mengen an Tierversuchen durchgeführt. Der Hintergrund ist die Belastung für die Ökosysteme durch die menschliche Nutzung. Nur 13 % der deutschen Gewässer erreichten 2022 einem guten ökologischen Zustand. Schlecht oder nicht passierbare Querbauwerke sind eine Hauptursache dafür und eine Bedrohung der Biodiversität. Sie müssen deshalb durch Experten überprüft werden, um gegebenenfalls Verbesserungsmaßnahmen anzuordnen. Bei stromabwärts gerichteten Passagen technischer Wasserbauwerke unterliegen Fische einem potenziellen Schädigungsrisiko durch Anschlagen an Kanten und Flächen, Einklemmen in Spalten, schnelle Druckveränderungen (Barotraumen) sowie Scherkräfte und Turbulenzen. Eine genaue Bewertung der Schädigungsrisiken erfordert die Nutzung von Lebendtierversuchen. Die lebenden Fische werden gezielt in die Anlagen und Abstiegskorridore eingebracht, nach Passage des Gefahrenbereiches wieder gefangen und auf Verletzungen untersucht. Diese Praxis betrifft in Deutschland bis zu 100.000 Wildfische pro Jahr. Das ist ethisch sehr fragwürdig und schwächt die zu schützenden Fischpopulationen selbst. Darüber hinaus sind die Versuche mit hohen Unsicherheiten verbunden und mit mehreren hunderttausend Euro bereits für kleine Untersuchungen sehr teuer.
Mit dem RETERO Projekt, dass noch bis Oktober 2024 läuft, wollen wir tierversuchsfreie, wissenschaftliche Methoden entwickeln, um Wasserkraftanlagen und Wasserbauwerke auf ihre ökologische Schädlichkeit zu bewerten, ohne dabei Fische einzusetzen.
Welche Vorteile sehen Sie bei der Verwendung von tierversuchsfreien Methoden in Ihrem Forschungsbereich?
Shokoofeh Abbaszadeh: Wie gesagt, wir sprechen über große Zahlen an Wildfischen, darunter vom Aussterben bedrohte Arten wie den europäischen Aal. Gesellschaftlich stecken wir derzeit in einem Dilemma: um das Überleben der Arten zu schützen, werden ethisch fragwürdige Lebendtierversuche durchgeführt und die Bestände dadurch ebenfalls geschwächt. Eine Reduzierung der Versuchszahlen durch eine geringe Anzahl von Fischen kann die Aussagekraft der Versuche verringern und zu falschen Ergebnissen führen. Es braucht also andere Ansätze, die nicht auf Tierversuchen basieren und die Tierversuche ersetzen, aber auch bessere Methoden, die es erlauben viel weniger Tierversuche durchzuführen, wenn es nicht gelingt sie vollständig zu ersetzen.
Das hat Vorteile für die Fische, aber auch für die Experten, denn niemand freut sich, solche Versuche durchzuführen, und die Betreiber der Anlagen, denn diese Tierversuche sind sehr aufwändig und teuer.
Wie kam es zur Idee, einen Roboterfisch für die Umweltforschung zu entwickeln?
Shokoofeh Abbaszadeh: Ich habe an der Entwicklung des Roboterfisches im Rahmen meiner Promotion gearbeitet. Die Idee zu den Roboterfischen stammt von dem Projektleiter Dr. Hoerner. Er hat das Projekt mit meinem Lehrstuhlleiter und unseren Partnern aus der TU Dresden, Ingenieur- und Gutachterbüros in Jena und Stuttgart und der Taltech in Estland entwickelt. Ich wurde dann mit der Umsetzung beauftragt. Die Idee ist, dass die Fische, auch wenn sie den Turbinen nicht entkommen können, dennoch eine gewisse Kontrolle über ihre Position und Ausrichtung in der Strömung haben. Verhalten spielt also eine wichtige Rolle. Das ist schlecht, denn deshalb können die lebenden Fische nur sehr schwer ersetzt werden. Die Roboterfische richten sich in der Strömung aus. Von einer Nutzung in einer Wasserkraftanlage sind wir aber leider noch weit entfernt.
Bei der Entwicklung des Roboterfisches gab es sicherlich einige technische Hürden. Welche waren die größten Herausforderungen und wie haben Sie diese gemeistert?
Shokoofeh Abbaszadeh: Einer der größten Herausforderung für die Entwicklung des Roboterfischs war die Größe und Schwimmleistung. Für unsere 35 cm große Forelle musste alles sehr klein und leicht gebaut werden. Wir haben spezielle Antriebe eingesetzt, damit der Roboter schwimmfähig und nicht zu schwer wurde. Ein weiteres großes Problem war die Wasserdichtigkeit. Das hört sich einfach an, ist aber für einen flexiblen, fischähnlichen Körper sehr herausfordernd.
Was hat Sie dazu motiviert, im Forschungsbereich der tierversuchsfreien Methoden tätig zu sein?
Shokoofeh Abbaszadeh: Wir haben eine Verantwortung für unseren Lebensraum. Mein Mann und ich ernähren uns weitestgehend vegan, denn ich mag Tiere. Die Vielfalt des Lebens auf der Erde begeistert mich. Ich habe immer noch Hoffnung, dass wir den schädlichen Einfluss unserer Gesellschaften auf die Erde reduzieren können und es schaffen, sie zu bewahren.
Können Sie unseren Leser*innen ein Beispiel für eine Anwendungsmöglichkeit Ihrer Forschungsergebnisse geben?
Frau Shokoofeh Abbaszadeh: Der Roboterfisch ist leider immer noch nicht soweit, dass wir ihn in Turbinen einsetzen können. Der Roboter kann aber bereits jetzt für Verhaltensforschung und zur Untersuchung des Wahrnehmungsraums von Fischen eingesetzt werden. Darüber führen wir gerade Gespräche. Durch das RETERO Projekt haben wir einen weiteren Werkzeugkasten entwickelt, der es jetzt schon erlaubt, Tierversuche zu reduzieren und in manchen Fällen komplett zu ersetzen. Der Roboterfisch war nur ein sehr kleiner Teil. Meine Kollegen arbeiten bereits jetzt mit Turbinen- und Pumpenherstellern zusammen, und die Methoden werden in der Praxis eingesetzt.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, um tierversuchsfreie Methoden hierzulande verstärkt zu etablieren?
Shokoofeh Abbaszadeh: Wir brauchen eine entsprechende Regulierung. Es liegt an der Politik, hier Vorgaben zu machen. Des weiteren versuchen insbesondere meine bereits etablierteren Kollegen aus dem RETERO Projekt, zu den Fischversuchen an Wasserkraftanlagen im Rahmen von Normenausschüssen, in Expertengremien und Fachkonferenzen auf Alternativen hinzuweisen und diese in die Normen und die Praxis aufzunehmen. Das ist leider ein ziemlich zäher Prozess.
Was ist Ihr nächstes Ziel? Welche Projekte planen Sie als nächstes?
Shokoofeh Abbaszadeh: Derzeit arbeite ich an passiven fischähnlichen Sensoren. Hier nutzen wir die Erkenntnisse aus dem RETERO Projekt. Wir denken, dass wir damit eine kostengünstige und wissenschaftliche anerkannte Alternative zu lebenden Fischen liefern können. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt unterstützt mich dabei. Parallel arbeite ich an umweltverträglichen Gezeitenturbinen. Es geht also passen zum Sommer ans Meer.