Cover des Wegweisers Tierversuchsfreie Wissenschaft

Wegweiser Tierversuchsfreie WissenschaftInterview - Jens Schwamborn

Für unsere Publikation Wegweiser Tierversuchsfreie Wissenschaft haben wir mit Prof. Schwamborn über tierversuchsfreie Methoden in der Neurobiologie, insbesondere zur Erforschung von Parkinson, gesprochen. 

Porträtfoto von Jens Schwamborn vor grünem Efeu
Prof. Jens Schwamborn, PhD

Prof. Jens Schwamborn, PhD, leitet seit 2013 die Gruppe Developmental and Cellular Biology am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) und ist Professor an der Universität Luxemburg. Er war Mitbegründer und CSO von Braingineering Technologies SARL. 2019 begründete er OrganoTherapeutics SARL mit, und ist derzeit CEO. Seine Arbeit fokussiert sich auf Neurobiologie, Stammzellforschung und Parkinson.

Herr Professor Schwamborn, können Sie unseren Leser*innen einen kurzen Überblick über Ihre Forschung geben? 

Prof. Jens Schwamborn: Der Fokus unserer Forschung ist Parkinson. Wir wollen erstmal die Grundlagen der Krankheit verstehen: Warum kommt es dazu, was sind die Mechanismen, die zu Erkrankungen führen. Letztendlich dann aber auch, wie wir therapeutische Ansätze entwickeln können. Wir wollen Parkinson also nicht nur verstehen, sondern es auch ursächlich behandeln können. Stattdessen wollen wir Wege finden, die vielleicht nicht unmittelbar eine Heilung hervorrufen, aber den Krankheitsverlauf verlangsamen oder verbessern.  

Alles, was wir machen, ist personalisiert. Das heißt wir verfolgen einen Ansatz, der als personalisierte Medizin bezeichnet wird, wo all unsere Modelle zu einem expliziten Patienten passen. Wir fangen immer mit einer Probe eines Patienten an, einer Haut- oder Blutprobe. Dann ändern wir die Zellen in ihrer genetischen Aktivität, in einer Art und Weise, die sie entwicklungsbiologisch in einen Zustand zurückbringt, der embryonalen Stammzellen ähnelt, die als induzierte pluripotente Stammzellen bezeichnet werden. Diesen Zellen geben wir dann einen Cocktail an chemischen Signalen, sogenannten Wachstumsfaktoren, die den Stammzellen sagen, in welche Zelltypen sie sich entwickeln sollen. Dies entspricht ungefähr dem, was sie auch während der normalen Entwicklung im Embryo sehen würden. Hier haben wir ein Verfahren entwickelt, mit dem wir diese Stammzellen in dreidimensionale Hirnstrukturen differenzieren können, die hauptsächlich dem menschlichen Mittelhirn entsprechen. Das ist die Region, die bei Parkinson am meisten betroffen ist.  

Wenn wir diese sogenannten Mittelhirn-Organoide aus Zellen eines gesunden Menschen herstellen, erhalten wir ein Mittelhirn-Organoid, mit vielen dopaminergen Nervenzellen, die Dopamin produzieren, neuronale Aktivität zeigen und Neuromelanin bilden. Die Zellen machen also all das, was man von einem Mittelhirn erwarten würde. Wenn wir das Gleiche mit Proben eines Parkinson-Patienten machen, sehen wir ziemlich viel von der Pathologie. Wir sehen, dass die dopaminergen Nervenzellen absterben und dass Proteinaggregate entstehen. Wir können also den pathologischen Prozess besser nachstellen, als wir es bisher mit konventionellen Mausmodellen oder konventionellen zwei-dimensionalen Zellkultur-Modellen konnten. Deshalb fokussieren wir uns stark auf dieses Modell, weil es wirklich gut darin ist den Krankheitsverlauf nachzustellen. 

Welche Vorteile sehen Sie bei der Verwendung von humanbasierten Methoden in der Forschung? 

Prof. Jens Schwamborn: Es gibt eine Reihe an Vorteilen. Zum einen ist es so, dass die ganze humane Physiologie, der Metabolismus und die Genaktivität spezifisch für den Menschen sind. Das heißt, andere Modelle, zum Beispiel Tiermodelle, können bestimme Aspekte nicht komplett abbilden. Wobei auch unser Modell ein in vitro Modell ist und damit natürlich nicht das explizite menschliche Gehirn. Der Hauptvorteil unseres Modells ist, dass wir die Pathologie der Parkinson-Krankheit damit gut nachstellen können. Wir haben allerdings gleichzeitig den Nachteil gegenüber dem Tiermodell, dass wir nicht die gesamte Komplexität der Physiologie nachstellen können, sondern nur einen Teilaspekt. Wir können also Prozesse wie zum Beispiel den Metabolismus im Gesamtkörper nicht darstellen, weil wir uns nur diesen einen Teilbereich anschauen. Der andere große Vorteil ist die Tatsache, dass es ein personalisiertes Modell ist. Parkinson ist eigentlich eher ein Syndrom als eine einheitliche Krankheit. Wahrscheinlich ist Parkinson eher eine Anzahl verschiedener Krankheiten, die alle ähnlichen klinischen Symptome ergeben und deshalb als Parkinson diagnostiziert werden. Dadurch, dass wir personalisierte Modelle haben, können wir uns die Unterschiede in den einzelnen Parkinson-Patienten anschauen. Diese Unterschiede sind teilweise sehr drastisch. Vermutlich können wir in Zukunft durch den personalisierten Ansatz Therapeutika entwickeln, die spezifisch sind für eine bestimmte Untergruppe an Patienten und dadurch wesentlich besser wirken oder überhaupt wirken können. 

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Ihre Forschung konzentriert sich auf die Entwicklung von Hirn Organoiden. Wie könnten solche Modelle künftig dazu beitragen, Tierversuche zu reduzieren oder zu ersetzen? 

Prof. Jens Schwamborn: Ich glaube, dass sie das jetzt schon zu einem guten Teil tun, weil wir jetzt schon einige Aspekte der Pathologie und auch der Physiologie modellieren können. Als nächstes gilt es komplexere Modelle zu entwickeln. Wir arbeiten zum Beispiel daran mehrere Teile des Hirns in vitro zusammenzubauen, also sogenannte Assembloide aus Mittelhirn-Striatum oder Mittelhirn-Hinterhirn herzustellen, sowie das Immunsystem oder vaskuläres System in unserem in vitro Modell zu modellieren. Im nächsten Schritt kann man dann auch der Idee von human-on-a-chip nachgehen, das heißt alle oder zumindest viele Organe zusammenzuschalten, idealerweise korrespondierend mit einer Art künstlichem Blutgefäßsystem. Damit könnte man vielleicht schon zu einem großen Teil Prozesse nachbilden. Ich glaube, der große Vorteil dieser Modelle, liegt in der Übertragbarkeit: Vor allem wenn es um klinische Testung geht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein potenzielles Therapeutikum, das in diesem patienten-basierten Modell funktioniert, eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg in der klinischen Phase im Patienten hat. Ich glaube, wir verringern hier signifikant die Risiken, die mit der Entwicklung eines neuen Therapeutikums verbunden sind, bereits früh in der Entwicklung. Das ist auch insofern klug, weil die späteren Phasen der Therapeutikaentwicklung sehr teuer sind.  

Können Sie Ihre Forschungsergebnisse nutzen, um die Entwicklung von Medikamenten und Therapien zu beschleunigen, und wenn ja, wie? 

Prof. Jens Schwamborn: Wir haben vor einiger Zeit, vor fünf Jahren, ein Spin-Off gegründet, das genau das macht. Bei OrganoTherapeutics stellen wir dieses Organoid-System für Biotech- und Pharmaindustrie zur Verfügung, um deren Therapeutika-Entwicklung zu unterstützen. Insbesondere in den präklinischen Phasen, um so bessere potenzielle Therapeutika in die Klinik zu bringen.  

Auf welches Ihrer Projekte blicken Sie mit besonders viel Begeisterung und Stolz? 

Prof. Jens Schwamborn: Ein Meilenstein für uns sind sicherlich die Arbeiten, wo wir das erste Mal Mittelhirn-Organoide und deren Modellierung in der Zellkulturschale beschrieben haben (Monzel, Smits, Hemmer et al., 2017). Das sind auch die wissenschaftlichen Publikationen, die viel zitiert wurden. Vielleicht noch relevanter war es, die Pathologie zu sehen. Das heißt, wenn man Organoide aus Zellen von einem Parkinson-Patienten herstellt, pathologische Prozesse zu sehen, die man vorher nicht sehen konnte. Wir haben beobachtet, dass sich Proteinaggregate in den Organoiden bilden, die in vielen ihrer Eigenschaften dem ähnlich sind, was wir im Gehirn des Patienten sehen würden. Dies wird demnächst publiziert werden. In normaler Zellkultur haben wir das vorher nie zeigen können. Die Organoide haben auch den Vorteil, dass man sie sehr lange kultivieren kann. Eine Standardzellkultur kann man ein paar Wochen am Leben halten. Im Gegensatz dazu haben wir die Organoide bis zu mehr als vierhundert Tage in der Kultur erhalten. Ich weiß von einem Kooperationspartner, die im Augenblick Organoide im Inkubator haben, die sie seit sieben Jahren kultivieren. 

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, um tierversuchsfreie Methoden verstärkt zu etablieren? 

Prof. Jens Schwamborn: Ich glaube das Wichtigste für uns wäre eine stärkere Adaption der Pharmazeutischen Industrie. Pharmaindustrie ist in vielerlei Hinsicht recht konservativ. Das ist sicherlich auch dadurch geprägt, dass es große Strukturen sind, die teilweise nicht ganz offen dafür sind, neue Methoden zu adaptieren. Natürlich probieren sie auch mal neue Methoden aus, aber wirklich massiv findet das in vielen Teilen noch nicht statt. Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel Roche mit seinem Institute of Human Biology, welches ein ganz großer Leuchtturm und eine Ausnahme ist. Auch dass die FDA (US Food and Drug Administration) es erlaubt hat, Tierversuche durch Organoid-Modelle zu ersetzen, ist sicherlich ein Meilenstein, der viel dazu beitragen wird. Letztendlich brauchen wir Erfolgsgeschichten. Wir brauchen ein paar Medikamente, die in Organoiden entwickelt wurden und dann aktiv im Patienten wirken. So ein Prozess dauert 10-20 Jahre. Es wird kommen, aber es dauert noch ein bisschen. 

Welche aktuellen Entwicklungen im Bereich der Organoid-Modelle halten Sie für besonders vielversprechend? 

Prof. Jens Schwamborn: Assembloide finde ich spannend, also noch größere Strukturen, in denen verschiedene Strukturen direkt miteinander verbunden sind. Zum Beispiel Hirn und Darm miteinander zu verbinden, um diese Achse nachzubilden. In dem Kontext sind all diese on-chip, mikrofluidischen Ansätze spannend. Hier kommt man von einer normalen multi-Well Kultur zu mikrofluidischen Systemen, wo man nicht mehr den klassischen Mediumwechsel macht, sondern wo das Medium im Prinzip durchfließt. Hier brauchen wir eine Entwicklung, dass Mikrofluidik und on-chip Ansätze handhabbarer werden. Es gibt diese Systeme zwar, aber häufig benötigt allein ein Chip mit einem Organoid eine verhältnismäßig große Apparatur drum herum. Als Proof of Concept ist das natürlich in Ordnung, aber praktisch kann man damit noch nicht gut genug arbeiten.  

Können Sie bereits vollständig auf tierische Materialien wie Fetales Kälberserum (FKS) oder Matrigel verzichten? Und wenn nein, planen Sie dies für die Zukunft Ihrer Forschung? 

Prof. Jens Schwamborn: Auf FKS können wir zum Glück komplett verzichten, weil all unsere Medien chemisch definiert ohne FKS sind. Matrigel beispielsweise ist ein sehr wichtiges Thema - schwer zu ersetzen. Wir haben ein Projekt, was von Animal Free Research UK finanziert wird, was im Prinzip zwei Komponenten angeht. Zum einen, wie wir Matrigel ersetzen können. Hierfür haben wir verschiedene chemische bzw. pflanzliche Matrices ausprobiert. Man muss ehrlich sagen, dass sie alle nicht funktioniert haben. Im Augenblick ist der Ansatz, dass wir stattdessen Kulturen ohne Matrix machen. Das funktioniert, hat aber auch bestimmte Nachteile. In einem anderen Ansatz untersuchen wir, ob wir Antikörper nutzen können, die nicht aus dem Tier kommen. Ich glaube, das ist realistisch. Komplett auf tierische Labormaterialien zu verzichten, halte ich im Augenblick für schwierig, insbesondere bei Matrigel und wahrscheinlich noch bei ein oder zwei anderen Sachen, bei denen vielen überhaupt nicht bewusst ist, dass sie aus der tierischen Produktion kommen. 

Vor welchen großen Herausforderungen steht die Forschung im Bereich der Organoid-Modelle und wie gehen Wissenschaftler*innen diese an? 

Prof. Jens Schwamborn: Das Immunsystem einzubeziehen ist ein spannender Aspekt. Was wir in ganz vielen Bereichen noch komplett ignorieren, ist Vaskularisierung und dementsprechend auch Blutfluss. Das wird einen großen Einfluss auf die einzelnen Strukturen haben. Generell ist Durchsatz immer noch ein gewisses Problem. Wir arbeiten häufig immer noch mit sehr kleinen Mengen an Organoiden.  

Für uns ist die Diversität in der Patienten-Auswahl auch unglaublich wichtig. Wir arbeiten häufig noch mit Material von relativ wenig Patienten und auch hier haben wir ethnische Diversität nicht besonders gut abgebildet. Die meisten unserer Proben kommen von kaukasischen Patienten, weil sie aus Europa oder den USA kommen. Wir haben zum Beispiel ein Projekt, wo wir mit indischen Gruppen zusammenarbeiten. In der indischen Population gibt es ebenfalls Mutationen in einem Gen, zum Beispiel das LRRK2-Gen, die zu Parkinson führen. Jedoch kommen in der indischen Population auch noch andere Mutationen vor als in der kaukasischen Population. Das heißt, selbst wenn wir Aspekte von Parkinson im Zusammenhang mit einer Mutation verstehen, hilft das möglicherweise den indischen Kollegen nicht weiter, weil sie es mit einer ganz anderen Mutation zu tun haben. Das ist eine relativ neue Erkenntnis, weil die indische Population bisher nicht angeschaut wurde. Ich denke, wir werden auch afrikanische Varianten, südamerikanische Varianten und Varianten an anderen Orten der Welt finden. Wir müssen hier noch breiter aufgestellt sein, um Populationsunterschiede besser abzubilden.  

Was ist Ihr nächstes Ziel? Welche Projekte planen Sie als nächstes? 

Prof. Jens Schwamborn: Was wir vor allem momentan versuchen, ist die Korrelation zwischen Genotyp und Phänotyp besser zu verstehen, indem man sich größere Populationen anschaut, größere Patientenmengen. Zum Beispiel, wenn ich mir 10 Patienten anschaue mit der gleichen Mutation und mit deren Zellen Organoide herstelle, wie unterschiedlich sind diese? Haben sie alle den gleichen Phänotyp, kann ich sie alle vergleichen oder sind sie doch sehr unterschiedlich? Der personalisierte Ansatz ist hier wichtig.  

Dann stehen wir vor der Herausforderung, dass wir ziemlich große Datenmengen produzieren. Unsere Schätzung hat ergeben, dass wir im Augenblick etwas mehr als 20 Millionen Mikroskopie Bilder haben. Die Bilder in einer sinnvollen Art und Weise mit einer künstlichen Intelligenz auszuwerten und so vielleicht zusätzliche Informationen herauszuziehen, ist eine spannende Fragestellung.  

Außerdem ist Alterung interessant. Selbst wenn man die Organoide lange kultiviert, sind sie natürlich entwicklungsbiologisch immer noch sehr jung. Parkinson ist eine Erkrankung, die meiner Meinung nach einen entwicklungsbiologischen Beitrag hat, aber nichtsdestotrotz in einem 60-/70-/80-Jährigen auftritt. Das heißt, wir müssen es hinbekommen, dass unsere Organoide noch mehr einer alten Population entsprechen. Es gibt bereits Möglichkeiten, aber auch das müssen wir weiter erforschen. 

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